
11 Jan. Baute auf Grundstücksgrenze, wem gehört sie?
Historischer Hintergrund des Streits
In der Stadt Lausanne wurde ein komplexer Rechtsstreit zwischen zwei Grundbesitzern aus dem Gerichtsbezirk Berner Jura-Seeland verhandelt. Dieser Konflikt betraf eine Grenzfrage zwischen ihren Parzellen, die ursprünglich durch eine natürliche Böschung voneinander getrennt waren. In der Vergangenheit, genauer gesagt vor dem Jahr 1988, erfolgte auf dem höher gelegenen Grundstück eine Veränderung: Um zusätzlichen Raum zu schaffen, wurde eine Erdaufschüttung vorgenommen. Diese Aufschüttung wurde mit einer Holzpalisadenwand stabilisiert, welche im Laufe der Zeit ihre Position veränderte und durch morsche Pfosten instabil wurde. Der Eigentümer des höher gelegenen Grundstücks sah sich daraufhin veranlasst, provisorische Massnahmen in Form von Schaltafeln zu ergreifen.
Klage und gerichtliches Verfahren
Der Eigentümer des tiefer gelegenen Grundstücks, unzufrieden mit der Entwicklung, ergriff rechtliche Schritte und reichte eine Klage beim Regionalgericht Berner Jura-Seeland ein. Der Beklagte wurde gerichtlich dazu verpflichtet, die Grenze seines Grundstücks durch angemessene Baumassnahmen, wie eine Böschung oder Stützmauer, innerhalb einer festgelegten Frist zu sichern. Sowohl das Berner Obergericht als auch das Bundesgericht bestätigten diesen Beschluss, was zur endgültigen Ablehnung der Beschwerde des beklagten Nachbarn führte.
Frage des Eigentumsrechts und Schlüsselüberlegungen
Ein entscheidender Aspekt in diesem Rechtsstreit war die Frage, ob die ursprüngliche Holzpalisadenwand an der Grenze oder auf der Grenze der beiden Grundstücke errichtet wurde. Diese Fragestellung ist von grosser Bedeutung, da sie direkte Auswirkungen auf das Eigentumsrecht hat. Während das Obergericht und das Regionalgericht diese Frage offenliessen, waren sich beide Gerichte einig, dass in beiden Fällen das Eigentum dem Beklagten zustehen würde. Bei einer Errichtung an der Grenze folgt das Eigentum aus Artikel 667 Absatz 2 des Zivilgesetzbuchs. Bei einer Errichtung auf der Grenze wäre gemäss Artikel 670 des Zivilgesetzbuchs von Miteigentum auszugehen, doch das bernische Einführungsgesetz zum Zivilgesetzbuch stellt klar, dass in einem solchen Fall die Wand ausschliesslich dem Grundstück des Erbauers zugeordnet wird.
Entscheidung des Bundesgerichts und deren Tragweite
Das Bundesgericht befasste sich im Urteil 5A 665/2022 vom 4. April 2023 mit der grundsätzlichen Frage, ob das kantonale Recht die bundesrechtliche Vermutung des Miteigentums an einer Baute auf der Grenze aufheben kann. Dies war bislang eine ungeklärte Frage, die nun bejaht wurde. Das Gericht entschied, dass der Kanton Bern berechtigt war, das Eigentum an einer auf der Grenze stehenden Baute abweichend vom Bundesrecht zu regeln, ohne den Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts gemäss Artikel 49 der Bundesverfassung zu verletzen.
Bedeutung des kantonalen Rechts
Dieses Urteil verdeutlicht die Relevanz des kantonalen Rechts in der Schweiz, insbesondere seine Fähigkeit, lokale Gegebenheiten und Traditionen zu berücksichtigen. Es unterstreicht zudem die Notwendigkeit, sowohl das Bundesrecht als auch das kantonale Recht bei der Beurteilung von Immobilieneigentumsfragen genau zu kennen.
Relevante Gesetzestexte
Im Fokus standen hierbei Artikel 667 und Artikel 670 des Zivilgesetzbuchs, die das Eigentum an Grund und Boden sowie die Vermutung des Miteigentums an Grenzabgrenzungen regeln. Zusätzlich kam Artikel 79i des bernischen Einführungsgesetzes zum Zivilgesetzbuch zur Anwendung, der sich speziell mit der Eigentumsfrage bei Stützmauern auf der Grenze auseinandersetzt.
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